Langer Samstag en d’r City

Zwischen KölnTag (gestern) und Shopping (morgen) starten wir in unserem Blog eine neue Reihe: den Schreibblog. Einmal pro Monat erscheint ein Objekt aus den Kölner Museen, verbunden mit Fragen. Wer möchte, kann sich dazu einen Geschichte ausdenken und als Kommentar einfügen. Wir beginnen mit einer Fotografie aus dem Kölnischen Stadtmuseum.

Samstag
Abb.: Joachim Fessler: Köln, City-Kaufhalle, 1973, Kölnisches Stadtmuseum (Foto: RBA, Köln)

Hier kommt die Anleitung:

1. Stellen Sie sich einen Timer (Mobiltelefon, Wecker) auf 5 Minuten. Bereit?
2. Schauen Sie sich das Foto 5 Minuten lang genau und aufmerksam an. Die Person, die Menschen, die Körperhaltung, die Gegenstände. Was steht im Zentrum, was oder wer ist im Hinter- oder Vordergrund? Entdecken Sie die Details, studieren Sie die Gesichtsausdrücke. Was könnte die Geschichte zum Foto sein?
3. Pling! Die 5 Minuten sind um.
4. Stellen Sie den Timer jetzt auf 15 Minuten. Los geht‘s mit dem Schreiben!
5. Schreiben Sie eine kurze Geschichte. Da die Zeit begrenzt ist, eignen sich Momentaufnahmen, Augenblicke, Kurzgeschichten, Gedankenströme besser als lange, epische, romanhafte Abschnitte. Und denken Sie  nicht zu lange nach! Es geht hier um das Gefühl, nicht den Kopf.
6. Pling! Fertig.

Es geht hier nicht um Perfektion, sondern um den Spaß am Schreiben. Hier einige Fragen, die der Fantasie auf die Sprünge helfen können:

Was verbindet die Personen mit ihrer Umgebung?
In welcher Beziehung steht der Fotograf zu dem Menschen auf dem Foto?
Erzählt jemand etwas über die Personen auf dem Bild, oder ist eine Person vom Foto der Erzähler?
Wer ist die Hauptfigur? Wie heißt sie? Welchen Background hat sie?
Welche Erwartungen hat die Person? Was sind ihre Hoffnungen oder Ängste? Ihre Lebensträume und Ziele? Was hat sie bereits erlebt?
In welchem Dilemma steckt sie vielleicht gerade?
Was ist vor der Aufnahme passiert, und was passiert, nachdem der Auslöser gedrückt wurde?
Was oder wer steht außerhalb des Bildausschnitts?
Wie ist die Stimmung der Personen? Ändert sie sich in der kurzen Geschichte?
Wie riecht es, ist es warm oder kalt? Friert die Person, ist ihr heiß?

Viel Spaß!

PS: Wer mehr über kreatives Schreiben wissen möchte, dem sei die Seite von Ines Häufler empfohlen.

Susanne Kieselstein

2 Kommentare

  1. Uns hat eine Geschichte erreicht. Die Autorin will aber nicht genannt werden. Schade. Aber es ist eine schöne Geschichte …

    Der Fund

    Lotti Schmitz mag diese langen Samstage nicht. Der ganze Tag ist futsch. Wenn sie abends nach Haus kommt, dann ist sie todmüde und mit ihr ist nichts mehr los. Heute hat sie der Chef im Erdgeschoss für die Kasse eingeteilt, das ist zwar bequemer als das elende Rumstehen im Verkauf, direkt bei den Waren. Aber an der Kasse hat Lotti Schmitz weniger Gelegenheit, mal ein Schwätzchen zu halten mit der ein oder anderen Kundin.
    Lotti Schmitz arbeitet am liebsten in der Strumpfabteilung. Die Kundinnen verlangen nach Beratung, das weiß sie aus Erfahrung. Sie behandeln Lotti Schmitz, als sei sie vom Fach. Dass sie in der Metzgerei gelernt hat, das hat Lotti Schmitz hier noch niemandem erzählt, beinah so, als sei das etwas wofür man sich schämen müsste.
    Lotte Schmitz kennt sich aus, besonders mit Strümpfen: 85 % BW, 15 % W oder 78% Pol und 22 % W, all diese Kürzel kann sie den Kundinnen erklären. Seit Neustem wird nach Söckchen für den Herrn mit hohem Polyesteranteil gefragt, die trocknen schnell und sind pflegeleicht. Lotti Schmitz rät, beim Waschen in der Waschmaschine besser nur 30 Grad wählen, sonst laufen die ein. Lotti Schmitz versucht ein Lächeln, dann hamse Kinderstrümpfe, dat wollnse ja nich, oder, jetzt lacht sie. Der Kunde nickt.
    Noch mehr mag Lotti Schmitz die Abteilung mit den Damenstrumpfhosen, Ergee für die moderne Frau. Lotti Schmitz ist auch modern. Seit es diese Strumpfhosen gibt.
    Gleich, in wenigen Minuten, werden sich die Türen des Kaufhauses öffnen und der Betrieb losgehen. Lotti Schmitz hat sich noch einmal kurz durchs Haar gekämmt, die Frisur sitzt. Noch ein Blick auf die Preisliste mit den Sondernageboten am heutigen langen Samstag. Lotti Schmitz blickt auf ihren Zettel. Ihr Blick gleitet ein wenig ab und wird von etwas Rotem auf dem Wühltisch direkt vor ihr angezogen. Zwischen den vielen dunkelbraunen Cordschnürern, die heute von 9,95 DM auf 4,95 reduziert sind, leuchtet etwas Rotes. Lotti Schmitz beugt sich weiter vor, fasst zwischen die Cordschuhe und ergreift ein weiches Lederetui. Sie spürt sofort, das ist Ziegenleder, so zart und glatt wie sich das anfasst. Dann klappt Lotti Schmitz das Etui auseinander und öffnet das Fach für die Geldscheine.
    Sie weiß nicht, ob sie etwas Bestimmtes erwartet hat, aber, was sie dann sieht, das ist sicher, damit hat Lotti Schmitz bestimmt nicht gerechnet: Zwei Geldscheine mit vierstelliger Zahl. Hat sie jemals solche Scheine eingenommen, hier an der Kasse? Nein. Lotti Schmitz spürt, wie es unter ihren Achseln warm wird, dann am Haaransatz und Hals, ihr gesamter Körper scheint zu glühen.
    Lotti Schmitz hält in diesem Etui einen Betrag in den Händen, der weit über ihrem halben Jahresverdienst liegt. Sie klappt das Etui hastig zu. Zwei Sekunden später öffnet sie es erneut, schaut nochmals hinein und vergewissert sich. Sie hat sich nicht getäuscht. Lotti Schmitz blickt um sich, überschaut das Geschäft. Wurde sie beobachtet, hat jemand gesehen, was sie da gefunden hat? Nein. Die Kolleginnen werden erst in einigen Minuten hier unten eintreffen.
    Lotti Schmitz trocknet mit einem weißen Baumwolltaschentuch ihre Stirn, fährt sich über den Nacken und steckt das Tuch zurück in die rechte Kitteltasche. Dann nimmt sie wieder Haltung ein. Die Türen des Kaufhauses werden geöffnet.

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    • Lotti Schmitz atmet durch. Heute stürmen die Kunden herein, alle möchten ein Schnäppchen machen. Jedes Mal, wenn Lotti Schmitz die Kasse öffnet, fühlt sie sich an den Fund erinnert.
      Sie weiß, dass sie mit dieser Summe viele ihrer Träume erfüllen könnte. Sie denkt an die Phantasie, einmal mit dem Schiff nach Amerika zu reisen, einmal in Hollywood sein, einmal New York sehen. Es gibt so viele Orte auf der Welt, die Lotti Schmitz noch nie besucht hat. Und als sie das so denkt, da kommt ihr das merkwürdig albern vor, so weit zu reisen. Sie denkt an den kleinen Schrebergarten, an das Salatbeet, wo zur Zeit der Salat so saftig grün steht und an die rote Bank neben dem kleinen Geräteschuppen, auf der sie so gern sitzt, am frühen Abend, wenn der Tag hinter ihr liegt. Lotti Schmitz spürt in diesem Moment ein merkwürdiges frohes Gefühl, nach langer Zeit, sie genießt es, die Kasse zu bedienen. Die Menschen sind freundlich zu ihr. Lotti Schmitz mag es, hier in der Mitte des Gewühls zu sitzen.
      Alles ist gut so, so wie es jetzt ist.

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